Negative Nachrichten beeinflussen uns stärker als positive. Deshalb sind die Medien ständig auf der Suche nach den „Breaking News“, die unsere Aufmerksamkeit umso mehr fesseln, je beunruhigender sie sind. In der Savanne hat dieser „Negativity bias“ unsere Vorfahren sicher manches Mal davor bewahrt, von wilden Tieren gefressen zu werden.
Zu dieser verstärkten Aufmerksamkeit für schlechte Nachrichten passt das pessimistische Menschenbild, welches sowohl von Religionen als auch von vielen großen Denkern über Jahrhunderte propagiert wurde: Unter einer dünnen Schicht der Zivilisation verborgen brodeln anti-soziale und egoistische Impulse im Menschen, die ständig in Schach gehalten werden müssen. Machiavelli glaubte, dass Menschen nur Gutes tun, wenn sie dazu gezwungen werden; Hobbes ging vom Grundzustand des Krieges aller gegen alle aus und der Homo oeconomicus will vor allem seinen eigenen Nutzen maximieren.
Rutger Bregman hinterfragt dieses negative Menschenbild in seinem Buch „Im Grunde gut". Er untersucht anhand von historischen Belegen, wie Menschen sich in Ausnahmesituationen tatsächlich verhalten haben. Während des deutschen Bombenkrieges gegen die Briten zeigen Studien, dass in der Bevölkerung keineswegs Hysterie und Gewalt ausbrach, wie damals durch die Regierung befürchtet. Es wurde vielmehr Zusammenhalt, Gleichmut und das Finden kreative Lösungen im Umgang mit der Situation beobachtet. Ähnliches wurde nach Hurricane Katrina in New Orleans festgestellt: Die Medien hatten von Plünderungen, Mord und Totschlag berichtet, weshalb Soldaten mobilisiert wurden, um für Ordnung zu sorgen. Kriminalstatistiken und Berichte von Augenzeugen zeigten hingegen: die Menschen blieben ruhig, halfen sich gegenseitig und Plünderungen fanden nur statt, um Lebensmittel an Bedürftige zu verteilen. Offensichtlich bringen Krisensituationen doch nicht unbedingt das Schlechte im Menschen an die Oberfläche, sondern die Menschen rücken zusammen.
Aber was ist mit all den Kriegen? Anhand von historische Belegen kann gezeigt werden, dass nur 15-25% der Soldaten ihre Waffen im Kampf wirklich gegen den Gegner eingesetzt haben und die große Mehrheit das wenn möglich zu vermeiden versuchte. Sogar viele der klassischen sozialpsychologischen Experimente, die für Studenten grundlegender Lernstoff sind, wurden als Fälschungen entlarvt: Die berühmte Stanford Prison Study, in der es um das grausame Verhalten von Gefängniswärtern Gefangenen gegenüber ging, sowie das Milgram-Experiment, in welchem die Teilnehmer auf Befehl hin Stromstöße verabreichten. Beide Studien wurden von den Forschern gezielt t manipuliert, um möglichst skandalträchtige und medientaugliche Ergebnisse zu erhalten. Weigerungen der Teilnehmer, an diese Inszenierungen mitzuwirken, wurden bewusst unterschlagen. In Experimenten, in denen die Probanden nicht manipuliert worden waren, zeigten sie vorwiegend pro-soziales Verhalten – diese Studien fanden jedoch keinen Eingang in die Berichterstattung.
Ist also dieses negative Menschenbild, welches uns durch die Medien permanent präsentiert wird, nur eine Konstruktion und wir Menschen sind von Grund auf soziale Wesen? Gerade in Zeiten der Corona-Krise ist das ein erbaulicher Gedanke und tatsächlich scheint die Solidarität unter den Menschen zugenommen zu haben.
Woher kommen dann die vielen gewalttätigen Ausfällen, Rassismus und kriegerische Auseinandersetzungen, wie sind diese zu erklären? Laut Bregmann sind wir Menschen paradoxe Wesen: Unsere Empathie macht uns nicht nur sozial, sondern ist auch oftmals Grund für grausame Exzesse. Unsere sozialen Impulse richten wir vorwiegend auf die, die uns ähnlich sind. Wir wollen Teil von etwas sein und grenzen uns gegen das Außenstehende ab. Je stärker wir uns mit unserer eigenen Gruppe verbunden fühlen, desto feindlicher stehen wir den anderen gegenüber. Wir alle werden mit diesem „tribalistischen Knopf“ geboren und dieser kann sogar gezielt aktiviert werden. Aktuell beobachten wir besonders, wie Populisten systematisch ihre Gegner verunglimpfen und als Sündenbock brandmarken, ihre Anhänger mobilisieren und so ganze Gesellschaften spalten.
Rutger Bregmans Buch "Im Grunde gut" eine sehr empfehlenswerte Lektüre mit hochinteressanten Denkanstößen.