Im Grunde gut – Rutger Bregman wirbt für ein optimistischeres Menschenbild

Sandra Scherf-Braune • 18. April 2020
Negative Nachrichten beeinflussen uns stärker als positive. Deshalb sind die Medien ständig auf der Suche nach den „Breaking News“, die unsere Aufmerksamkeit umso mehr fesseln, je beunruhigender sie sind. In der Savanne hat dieser „Negativity bias“ unsere Vorfahren sicher manches Mal davor bewahrt, von wilden Tieren gefressen zu werden. 
Zu dieser verstärkten Aufmerksamkeit für schlechte Nachrichten passt das pessimistische Menschenbild, welches sowohl von Religionen als auch von vielen großen Denkern über Jahrhunderte propagiert wurde: Unter einer dünnen Schicht der Zivilisation verborgen brodeln anti-soziale und egoistische Impulse im Menschen, die ständig in Schach gehalten werden müssen. Machiavelli glaubte, dass Menschen nur Gutes tun, wenn sie dazu gezwungen werden; Hobbes ging vom Grundzustand des Krieges aller gegen alle aus und der Homo oeconomicus will vor allem seinen eigenen Nutzen maximieren. 
Rutger Bregman hinterfragt dieses negative Menschenbild in seinem Buch „Im Grunde gut". Er untersucht anhand von historischen Belegen, wie Menschen sich in Ausnahmesituationen tatsächlich verhalten haben. Während des deutschen Bombenkrieges gegen die Briten zeigen Studien, dass in der Bevölkerung keineswegs Hysterie und Gewalt ausbrach, wie damals durch die Regierung befürchtet. Es wurde vielmehr Zusammenhalt, Gleichmut und das Finden kreative Lösungen im Umgang mit der Situation beobachtet. Ähnliches wurde nach Hurricane Katrina in New Orleans festgestellt: Die Medien hatten von Plünderungen, Mord und Totschlag berichtet, weshalb Soldaten mobilisiert wurden, um für Ordnung zu sorgen. Kriminalstatistiken und Berichte von Augenzeugen zeigten hingegen: die Menschen blieben ruhig, halfen sich gegenseitig und Plünderungen fanden nur statt, um Lebensmittel an Bedürftige zu verteilen. Offensichtlich bringen Krisensituationen doch nicht unbedingt das Schlechte im Menschen an die Oberfläche, sondern die Menschen rücken zusammen. 
Aber was ist mit all den Kriegen? Anhand von historische Belegen kann gezeigt werden, dass nur 15-25% der Soldaten ihre Waffen im Kampf wirklich gegen den Gegner eingesetzt haben und die große Mehrheit das wenn möglich zu vermeiden versuchte. Sogar viele der klassischen sozialpsychologischen Experimente, die für Studenten grundlegender Lernstoff sind, wurden als Fälschungen entlarvt: Die berühmte Stanford Prison Study, in der es um das grausame Verhalten von Gefängniswärtern Gefangenen gegenüber ging, sowie das Milgram-Experiment, in welchem die Teilnehmer auf Befehl hin Stromstöße verabreichten. Beide Studien wurden von den Forschern gezielt t manipuliert, um möglichst skandalträchtige und medientaugliche Ergebnisse zu erhalten. Weigerungen der Teilnehmer, an diese Inszenierungen mitzuwirken, wurden bewusst unterschlagen. In Experimenten, in denen die Probanden nicht manipuliert worden waren, zeigten sie vorwiegend pro-soziales Verhalten – diese Studien fanden jedoch keinen Eingang in die Berichterstattung. 
Ist also dieses negative Menschenbild, welches uns durch die Medien permanent präsentiert wird, nur eine Konstruktion und wir Menschen sind von Grund auf soziale Wesen? Gerade in Zeiten der Corona-Krise ist das ein erbaulicher Gedanke und tatsächlich scheint die Solidarität unter den Menschen zugenommen zu haben. 
Woher kommen dann die vielen gewalttätigen Ausfällen, Rassismus und kriegerische Auseinandersetzungen, wie sind diese zu erklären? Laut Bregmann sind wir Menschen paradoxe Wesen: Unsere Empathie macht uns nicht nur sozial, sondern ist auch oftmals Grund für grausame Exzesse. Unsere sozialen Impulse richten wir vorwiegend auf die, die uns ähnlich sind. Wir wollen Teil von etwas sein und grenzen uns gegen das Außenstehende ab. Je stärker wir uns mit unserer eigenen Gruppe verbunden fühlen, desto feindlicher stehen wir den anderen gegenüber. Wir alle werden mit diesem „tribalistischen Knopf“ geboren und dieser kann sogar gezielt aktiviert werden. Aktuell beobachten wir besonders, wie Populisten systematisch ihre Gegner verunglimpfen und als Sündenbock brandmarken, ihre Anhänger mobilisieren und so ganze Gesellschaften spalten. 
Rutger Bregmans Buch "Im Grunde gut" eine sehr empfehlenswerte Lektüre mit hochinteressanten Denkanstößen.

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„Mütend“ in der Corona-Krise, isoliert im Homeoffice, überlastet durch endlose Meetings. Mit zunehmender Dauer der Krise steigt die Ungeduld: "Weshalb schon wieder Lockdown?", "Schulen auf!", "Schulen zu!", "Warum ist der schon geimpft und ich nicht?". Führungskräfte werden in der aktuellen Situation mehr als sonst mit der Stimmung der Mitarbeiter:innen konfrontiert und fragen sich: Wie mit diesen Emotionen im Arbeitskontext gut umgehen? Braucht es bei schlechter Stimmung ein Team-Event, das für gute Laune sorgt? Oder ist es meine Aufgabe als Führungskraft, Zuversicht und Optimismus zu verbreiten? Auch in Veränderungsprozessen erlebe ich häufig Situationen, in denen nach erfolgreichem Abschluss der Projektarbeit die Stimmungskurve dennoch nach unten geht. Mitarbeiter:innen fremdeln mit den Neuerungen und trauern den „guten alten Zeiten“ nach. Das macht die Projektbeteiligten dann ärgerlich: es wurde viel Arbeit und Mühe investiert, um alles gut vorzubereiten. Nun könnte es richtig losgehen – was soll dann das Gejammere? Oftmals ist die Bereitschaft, sich mit der emotionalen Seite der Veränderung auseinanderzusetzen, nicht sehr groß. „Immerhin sind wir zum Arbeiten hier und andere sind noch viel schlechter dran!“ Soll man auf Emotionen und Stimmungen überhaupt eingehen, schaukelt sich das nicht nur immer weiter hoch? Das sind nachvollziehbare Fragen und Reaktionen. Dennoch brauchen wir auch in Unternehmen einen konstruktiven Umgang mit Emotionen, um in einer Krise arbeitsfähig und produktiv bleiben können. Natürlich sind Arbeitsteams keine Selbsterfahrungsgruppen, in denen Gefühle im Mittelpunkt stehen, jedoch verschwindet schlechte Stimmung meistens nicht, indem wir sie ignorieren. Das Prinzip der Akzeptanz- und Commitment-Therapie – oder kurz ACT - nach Steven C. Hayes kann eine nützliche Perspektive für einen konstruktiven und handlungsorientierten Umgang mit Emotionen im Arbeitskontext bieten.
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Die Fast-Forward-Taste der Geschichte In der Corona-Krise haben sich viele Menschen von jetzt auf gleich im Homeoffice wiedergefunden - für manche wurde endlich möglich, was lange nicht erwünscht war. Erste Erfahrungsberichte zeigen, dass der Übergang in die virtuelle Zusammenarbeit besser gelungen ist als erwartet: Die Digitalisierung in unserer Arbeitswelt hat einen Riesenschritt gemacht und viele haben ihre Vorurteile revidiert. Ganz nebenbei schützen wir durch wegfallende Arbeitswege und Dienstreisen nun sogar das Klima. Laut einer Umfrage des FIT sind über 80% der Mitarbeiter im Homeoffice zufrieden. Sie schätzen ihre eigene Arbeitsleistung positiv ein, vermissen jedoch den sozialen und professionellen Austausch mit den Kollegen. Werden Homeoffice und virtuelle Zusammenarbeit auch nach der Corona-Krise zum Neuen Normal? Prof. Wolfgang Prinz vom Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT) glaubt, dass Mitarbeiter auch nach der Corona-Pandemie mehr von zuhause arbeiten werden und viele Meetings durch virtuelle Treffen ersetzt werden. Ergebnisse werden mehr zählen als "FaceTime". Doch was bedeutet das für unser Wohlbefinden und unser Miteinander? Die Begegnung mit Kollegen an der Kaffeemaschine, die gemeinsamen Mittagessen, all die lieb gewonnene Büro-Routinen - können wir darauf dauerhaft verzichten? Gillian Sandstrom hat in einer Studie gezeigt, wie sehr die flüchtigen Begegnungen unseres Alltags zu unserem Wohlbefinden beitragen. Wie können wir diese spontanen, aber umso erfreulicheren Kontakte in unser Homeoffice-Tage integrieren? Oftmals taumeln wir von einer Videokonferenz zur nächsten Videokonferenz und fallen am Ende des Tages erschöpft aufs Sofa. Wir brauchen neue Strategien, um für uns zu sorgen und Kontakt und Verbundenheit mit unseren Kollegen herzustellen. Nicht nur, weil eine gute Zusammenarbeit für unsere Arbeitsergebnisse wichtig ist, sondern auch weil unser emotionales Gleichgewicht davon abhängt, wie sehr wir uns eingebunden fühlen. Auch wenn unsere Freunde und Familie uns Stabilität und Halt geben: Ohne unsere Büro-Ehe oder das Gefühl, Teil eines Teams zu sein, fehlt uns einfach etwas. Um uns weiterhin verbunden fühlen zu können, müssen wir verstehen, wie Empathie auch per Videoübertragung möglich ist, Emotionen virtuell einen sicheren Raum finden, Vertrauen entstehen und beibehalten werden kann und was das mit unserer persönlichen Wirkung zu tun hat. Wir alle befinden uns auf einer gemeinsamen Lernreise und ich bin gespannt, aus welcher neuen Normalität wir in 5 Jahren auf 2020 und die Zeit davor zurückschauen werden.
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