Lern- und Innovationskultur

Sandra Scherf-Braune • 18. Juni 2024

Gemeinsam lernen, ins Risiko zu gehen...

Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland sinkt; Behörden und Unternehmen sind wenig flexibel und wenig bereit, Neues zu wagen (Quelle). Die deutsche Wettbewerbsfähigkeit ist ein beliebtes Thema für Schuldzuweisungen in der politischen Debatte, aber ich finde es interessanter, mögliche Wirkfaktoren in Organisationen zu beleuchten, die Veränderung und Innovation behindern.

 

Die Harvard-Professorin Amy Edmondson hat mit ihrem Konzept der psychologischen Sicherheit einen sehr relevanten Erklärungsansatz für die Innovationsfähigkeit von Teams geliefert: Je sicherer sich Menschen fühlen, unangenehme oder schwierige Themen anzusprechen, desto eher werden Lösungen für Probleme gefunden. 


Wie wenig dieses Verhalten in vielen Unternehmenskulturen gefördert wird, hat Amy Edmondson in ihrem Buch „Die angstfreie Organisation“ am Beispiel der Führungsmannschaft um Martin Winterkorn kurz vor dem Dieselskandal sehr anschaulich beschrieben: Offene Diskussionen und das Hinterfragen vorgegebener Ziele waren nicht erwünscht. Das Ergebnis dieser fehlenden offenen Diskussionskultur kennen wir alle: Schummelsoftware, um unerreichbare Ziele zu erreichen.


Um Neues zu wagen, braucht es eine Kultur, in der sich Menschen sicher fühlen, offen anzusprechen, was nicht funktioniert, eingefahrene Abläufe und Regeln in Frage zu stellen und "verrückte" Ideen zu äußern. Psychologische Sicherheit bedeutet, sich vor negativen Konsequenzen sicher zu fühlen, wenn man von sozialen Normen abweicht. Konsequenzen können sein: getadelt, ignoriert oder lächerlich gemacht zu werden, kurz: einen Gesichtsverlust in der für uns wichtigen Peergroup zu erleiden oder sogar faktisch negative Konsequenzen für unser berufliches Fortkommen.


Das Lernkulturmodell von Amy Edmondson zeigt sehr schön, wie das Lernen aus Fehlern und Innovationen in Unternehmen vom Vorhandensein psychologischer Sicherheit und ehrgeiziger Ziele abhängen (eigene Darstellung nach Sketchnotes-ruhr.de). 



Amy. E Edmondson The Competitive Imperative of Learning. Harvard Business Review, July-August 2008.

  • Beginnend im Lernkulturmodell oben rechts: Wenn wir uns sicher fühlen, soziale Risiken einzugehen, sprechen wir  Probleme, Fehler und Schwierigkeiten offen an, um gemeinsam daraus zu lernen und neue Lösungen zu entwickeln.  Ehrgeizige Ziele sind ein Anreiz, die Organisation gemeinsam weiterzuentwickeln.
  • Wenn hohe Anforderungen auf mangelnde psychologische Sicherheit treffen, erleben wir Leistungsdruck, ohne den sicheren Raum, Neues zu wagen. In einer Angst-Kultur versuchen alle irgendwie zu überleben, zur Not auch auf Kosten der anderen oder unter Umgehung von Gesetzen.
  • Wenn es keine ehrgeizigen Ziele und wenig psychologische Sicherheit gibt, entsteht eine Kultur der Apathie, in der angepasstes und passives Verhalten die beste Überlebensstrategie ist. 
  • Im linken oberen Quadranten des Lernkulturmodells fühlen wir uns sicher, aber es gibt keine ehrgeizigen Ziele, was oft dazu führt, dass wir uns in einer harmonischen Komfortkultur einrichten, da es wenig Anlass zur Weiterentwicklung gibt. Wir sehen hier teilweise auch eine starke Beschäftigung mit sich selbst.
  • Was bedeutet das für eine wettbewerbsfähige Lernkultur in unseren Unternehmen und Institutionen? Wie viel Verantwortung wird eigentlich für die Bewältigung herausfordernder Transformationsziele übernommen? Gibt es die notwendige psychologische Sicherheit, um Dinge auszuprobieren? Oder werden hohe Ziele gesetzt, ohne Fehlversuche zu akzeptieren? Wie oft wird im Status quo verharrt, weil Mut und Sicherheit fehlen, herausfordernde Projekte anzugehen? Sicher ist, dass die notwendige Weiterentwicklung in Unternehmen und Verwaltungen die Bereitschaft zum Verlassen der Komfortzone erfordern, um Verantwortung für Fehler der Vergangenheit zu übernehmen und die Bereitschaft, sich in einen unsicheren Lernprozess zu begeben.


Damit Menschen in Organisationen zu Veränderung und Innovation bereit sind, braucht es sichere Räume, in welchen das Ansprechen kritischer Themen und Experimente erwünscht sind. Hier spielen Führungskräfte auf allen Ebenen eine wichtige Rolle, indem sie

  • eine klare Vision und ambitionierte Ziele vorgeben und gleichzeitig die Erlaubnis, von bestehenden Regeln abzuweichen.
  •  selbst das Verhalten vorleben und bestehende Probleme benennen sowie eigene Fehler und Entwicklungsfelder offen benennen.
  • Mitarbeiter:innen, die sich aus der Komfortzone wagen und unbequeme Themen ansprechen, unterstützen und den Rücken stärken.


So kann eine Unternehmenskultur gefördert werden, die Entwicklung - auch wenn sie riskant ist - belohnt, anstatt ein Verharren im Status quo zu erwarten. Mut und Experimente statt German Angst. 


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von Sandra Scherf-Braune 10. Juli 2024
Wozu Feedback geben und in welcher Haltung?
von Sandra Scherf-Braune 16. April 2021
„Mütend“ in der Corona-Krise, isoliert im Homeoffice, überlastet durch endlose Meetings. Mit zunehmender Dauer der Krise steigt die Ungeduld: "Weshalb schon wieder Lockdown?", "Schulen auf!", "Schulen zu!", "Warum ist der schon geimpft und ich nicht?". Führungskräfte werden in der aktuellen Situation mehr als sonst mit der Stimmung der Mitarbeiter:innen konfrontiert und fragen sich: Wie mit diesen Emotionen im Arbeitskontext gut umgehen? Braucht es bei schlechter Stimmung ein Team-Event, das für gute Laune sorgt? Oder ist es meine Aufgabe als Führungskraft, Zuversicht und Optimismus zu verbreiten? Auch in Veränderungsprozessen erlebe ich häufig Situationen, in denen nach erfolgreichem Abschluss der Projektarbeit die Stimmungskurve dennoch nach unten geht. Mitarbeiter:innen fremdeln mit den Neuerungen und trauern den „guten alten Zeiten“ nach. Das macht die Projektbeteiligten dann ärgerlich: es wurde viel Arbeit und Mühe investiert, um alles gut vorzubereiten. Nun könnte es richtig losgehen – was soll dann das Gejammere? Oftmals ist die Bereitschaft, sich mit der emotionalen Seite der Veränderung auseinanderzusetzen, nicht sehr groß. „Immerhin sind wir zum Arbeiten hier und andere sind noch viel schlechter dran!“ Soll man auf Emotionen und Stimmungen überhaupt eingehen, schaukelt sich das nicht nur immer weiter hoch? Das sind nachvollziehbare Fragen und Reaktionen. Dennoch brauchen wir auch in Unternehmen einen konstruktiven Umgang mit Emotionen, um in einer Krise arbeitsfähig und produktiv bleiben können. Natürlich sind Arbeitsteams keine Selbsterfahrungsgruppen, in denen Gefühle im Mittelpunkt stehen, jedoch verschwindet schlechte Stimmung meistens nicht, indem wir sie ignorieren. Das Prinzip der Akzeptanz- und Commitment-Therapie – oder kurz ACT - nach Steven C. Hayes kann eine nützliche Perspektive für einen konstruktiven und handlungsorientierten Umgang mit Emotionen im Arbeitskontext bieten.
von Sandra Scherf-Braune 11. Mai 2020
Die Fast-Forward-Taste der Geschichte In der Corona-Krise haben sich viele Menschen von jetzt auf gleich im Homeoffice wiedergefunden - für manche wurde endlich möglich, was lange nicht erwünscht war. Erste Erfahrungsberichte zeigen, dass der Übergang in die virtuelle Zusammenarbeit besser gelungen ist als erwartet: Die Digitalisierung in unserer Arbeitswelt hat einen Riesenschritt gemacht und viele haben ihre Vorurteile revidiert. Ganz nebenbei schützen wir durch wegfallende Arbeitswege und Dienstreisen nun sogar das Klima. Laut einer Umfrage des FIT sind über 80% der Mitarbeiter im Homeoffice zufrieden. Sie schätzen ihre eigene Arbeitsleistung positiv ein, vermissen jedoch den sozialen und professionellen Austausch mit den Kollegen. Werden Homeoffice und virtuelle Zusammenarbeit auch nach der Corona-Krise zum Neuen Normal? Prof. Wolfgang Prinz vom Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT) glaubt, dass Mitarbeiter auch nach der Corona-Pandemie mehr von zuhause arbeiten werden und viele Meetings durch virtuelle Treffen ersetzt werden. Ergebnisse werden mehr zählen als "FaceTime". Doch was bedeutet das für unser Wohlbefinden und unser Miteinander? Die Begegnung mit Kollegen an der Kaffeemaschine, die gemeinsamen Mittagessen, all die lieb gewonnene Büro-Routinen - können wir darauf dauerhaft verzichten? Gillian Sandstrom hat in einer Studie gezeigt, wie sehr die flüchtigen Begegnungen unseres Alltags zu unserem Wohlbefinden beitragen. Wie können wir diese spontanen, aber umso erfreulicheren Kontakte in unser Homeoffice-Tage integrieren? Oftmals taumeln wir von einer Videokonferenz zur nächsten Videokonferenz und fallen am Ende des Tages erschöpft aufs Sofa. Wir brauchen neue Strategien, um für uns zu sorgen und Kontakt und Verbundenheit mit unseren Kollegen herzustellen. Nicht nur, weil eine gute Zusammenarbeit für unsere Arbeitsergebnisse wichtig ist, sondern auch weil unser emotionales Gleichgewicht davon abhängt, wie sehr wir uns eingebunden fühlen. Auch wenn unsere Freunde und Familie uns Stabilität und Halt geben: Ohne unsere Büro-Ehe oder das Gefühl, Teil eines Teams zu sein, fehlt uns einfach etwas. Um uns weiterhin verbunden fühlen zu können, müssen wir verstehen, wie Empathie auch per Videoübertragung möglich ist, Emotionen virtuell einen sicheren Raum finden, Vertrauen entstehen und beibehalten werden kann und was das mit unserer persönlichen Wirkung zu tun hat. Wir alle befinden uns auf einer gemeinsamen Lernreise und ich bin gespannt, aus welcher neuen Normalität wir in 5 Jahren auf 2020 und die Zeit davor zurückschauen werden.
Im Grunde gut – Rutger Bregmann wirbt für ein optimistischeres Menschenbild
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Negative Nachrichten beeinflussen uns stärker als positive. Deshalb sind die Medien ständig auf der Suche nach den „Breaking News“, die unsere Aufmerksamkeit umso mehr fesseln, je beunruhigender sie sind. In der Savanne hat dieser „negativity bias“ unsere Vorfahren sicher manches Mal davor bewahrt, von wilden Tieren gefressen zu werden.
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